Die vergangenen Jahre haben uns eines gezeigt: Eine Politikergeneration ist ans Ruder geraten, die nicht mehr Getriebene sind, sondern zu Treibern geworden sind. Nur wo treiben sie hin?
Vor vier Jahren habe ich in geschrieben, dass „Sterben schneller geht als Leben“ in der Politik. Kern des Arguments war, dass die Politik getrieben ist – von gutorganisierten Lobbies, die sie zum Teil auch finanzieren, und von Medien, die in der Kakophonie der veröffentlichten Meinung mit Exklusivität herausstechen wollen. Da für exklusive Recherce in der Regel das Geld fehlt, inszeniert man halt.
Seitdem hat sich etwas verändert, was nun auch in Österreich angekommen ist: Politiker (nein, praktisch keine -innen) haben die Bühne der Inszenierung selbst erklommen und bespielen sie, an den etablierten Medien vorbei. Berlusconi war der erste Leuchtturm, der machte es mit seinen eigenen Medien. Die Obama-Kampagne mit ihrem Microtargeting setzte neue Maßstäbe in der Vereinzelung der Wahlwerbung, und Trump mit seiner Twitterei hat ein neues Kapitel eröffnet – er geht an etablierten Medien vorbei in seine eigene autistische Denkblase. Leider nicht alleine.
Wahlkampf als Inszenierung
… ist ja nun wirklich nicht neu. Der vergangene Nationalratswahlkampf hat allerdings gezeigt, wie gut man Wahlkampf inhaltsleer führen kann. Was hat Kurz inhaltlich versprochen außer Neuanfang mit einer neuen Farbe? Und er war wirklich erfolgreich damit, jeder inhaltlichen Diskussion aus dem Weg zu gehen. Auch die Koalitionsverhandlungen waren sorgfältig inszeniert: Wie oft ließ man durchsickern, wie sehr man sich mag, und wie wenig hörte man vom Rest. Die neue Regierung inszeniert sich – von der Auswahl der Pressekontakte bis zu „Propagandabildern“ (schrieb der Standard). Damit war Kurz nicht der Erste, aber er ist immerhin einer der ersten in Österreich.
Regierungsprogramm als Inszenierung
Aber dann kam das Regierungsprogramm, und es war schon erstaunlich, wie inhaltsleer das war. Man konnte eine ganze Menge hineininterpretieren, und das sollte man wohl auch – Stichwort „Filterblase“. Und hartnäckig hält sich das Gerücht, dass es zu jedem Kapitel einen sideletter gibt, in dem die konkreten Maßnahmen stehen – unsichtbar vor der Öffentlichkeit. Aber egal, ob es diese Geheimpapiere wirklich gibt: Die Unklarheit des Regierungsprogramms ist eine neue Qualität: Sie erlaubt nämlich, die tatsächliche Sachpolitik auch unter dem Inszenierungsaspekt anzugehen: Machen wir, was gerade opportun ist. Reiten wir die Wellen auch sachpolitisch. Dann glauben alle, wir seien erfolgreich, während wir eigentlich nur beliebig sind. Und schreiben wir nicht rein, was wir wirklich tun werden.
Es ist das Heranrücken des „policy making“ (der Realpolitik) an „politics“ (an die Inszenierung). Und damit der nächste Schritt der Entleerung der Politik, denn Demokratie hieße, das Umgekehrte zu tun.
Kollision mit der Wirklichkeit
Nun, so ganz beliebig ist die Realpolitik natürlich nicht. Man muss nur sehen, wer sich über die ersten Maßnahmen freut. Dass Asylwerber nun „konzentriert“ (© Kickl) in „Lager“ (© Gudenus) gebracht werden sollen, mag noch als Inszenierung vor der eigenen Politblase durchgehen. Die Anhebung des Arbeitslosengelds zu Beginn der Arbeitslosigkeit freut die Bauindustrie und den Tourismus, die sich noch besser Auftragsflauten vom Staat bezahlen lassen. Auch für die anderen Maßnahmen dieser Regierung gibt es kleine, feine Gewinner. Lobbying funktioniert also noch immer, vielleicht sogar besser denn je.
Aber es gibt auch Gegenstimmen.
Das ist wohl die heftigste Kollision mit der Wirklichkeit, in der sich die Kurz-ÖVP gerade befindet. Ein Kanzler, der sich mit einem engen Kreis an MitstreiterInnen bewegt, beflüstert von einigen wenigen Lobbies, der muss in der Komplexität der Realpolitik Fehler machen, und noch gibt es Menschen, die diese Fehler auch öffentlich sagen – z.B. WIFO-Chef Christoph Badelt in der ORF-Pressestunde. HC Strache macht gerade die ernüchternde Erfahrung, dass man sich zwar in den eigenen Filterblasen gut bewegen kann, aber steuern kann man sie nur eingeschränkt – er erntete einen ersten Shitstorm als Regierungsmitglied. Der Politikwissenschafter Jan-Werner Müller brachte es in einem Standard.at-Kommentar auf den Punkt: Nur eine Bewegung zu sein, ist noch keine Erneuerung, und mehr Demokratie schon gar nicht.
Ganz kommen wir der Wirklichkeit nicht aus, da hilft keine noch so gute Inszenierung. Damit ist die Regierung guter Gesellschaft, denn auch in der Organisationsentwicklung gibt es immer wieder Versuche, nur die Inszenierung und nicht die Wirklichkeit zu verändern. Es ist das Wesen sozialer Systeme, Inszenierung zum Aufbruch zu brauchen, aber einen Weg, um zu gehen. Man hat sich sich tosend erhoben, um sich gleich wieder ratlos zu setzen. Und, da das Ganze ein Symbol, so kann’s nicht schaden, wenn es hohl, sagte dereinst Wilhelm Busch.