Sterben geht schneller als Leben

Kürzlich hatte ich wieder eine Diskussion mit Polit-Profis, und mich beschlich (wieder einmal) die Erkenntnis: Politische Inhalte sind für den politischen Erfolg nachrangig. Es gilt, jeden möglichen Schachzug richtig zu setzen, um sich so Stück für Stück nach Oben zu arbeiten. Aber warum ist das eigentlich so?

11 Jun, 2014

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Kürzlich hatte ich wieder eine Diskussion mit Polit-Profis, und mich beschlich (wieder einmal) die Erkenntnis: Politische Inhalte sind für den politischen Erfolg nachrangig. Es gilt, jeden möglichen Schachzug richtig zu setzen, um sich so Stück für Stück nach Oben zu arbeiten. Aber warum ist das eigentlich so?

Zum Überleben und zum Sterben…

Jüngstes Beispiel dafür ist die, naja, „Demontage“ von Niko Alm als „Religions“-Sprecher von NEOS. Es mag schon witzig sein, ausgerechnet jemanden als Religionssprecher zu nominieren, der Religion parodiert. Aber es scheint so gar nicht gelungen zu sein, die zentrale Haltung zu transportieren, dass man Religion schlicht und einfach nicht für ein Thema hält.

Taktisch war das klug gemacht: Die ÖVP, mit ihrem christlich-konservativen Hintergrund, musste gar nicht viel böses sagen, um viele (auch liberalere) WählerInnen gegen NEOS aufzubringen – und schon war Alm politisch tot. Gute Taktik trifft auf auf offene Flanke.

Ich habe den Eindruck gewonnen: Zum Überleben im politischen Alltag braucht es einen langen Atem. Ausnahmepersonen in der Politik hatten ihn gehabt: Langfristige Visionen, kraftvolle Bilder, und den Zug zur Umsetzung. Aber sie sind Ausnahmepersonen geblieben. Sie waren gute Strategen.

In Zeiten der Postdemokratie haben sich auch die Fenster der Möglichkeiten reduziert, mit so einer Strategie durchzukommen: Die Bühnenplätze sind verteilt. Wer in der Regierung ist, ist das Krokodil, und wer die Opposition ist, ist der Kasperl. Den Einen fliegt die Macht zu, den anderen die Sympathien. Dass der Zuflug mit der Position und nicht der Identität zu tun hat, mussten FPÖ/BZÖ und auch SPÖ schon mehrmals zur Kenntnis nehmen.

Viel relevanter ist die zweite Einsicht: Zum politischen Sterben reicht es, kurz blöd erwischt zu sein, ein Moment der Unaufmerksamkeit. Diesen möglichst zu vermeiden (in Zeiten, in denen die Kugeln immer dichter fliegen), ist der Job der Taktiker. Das bindet viel mehr Energie. Es geht darum, wenig Angriffsmöglichkeiten zu bieten, keine (großen) Fehler zu machen, und sich im politischen Kugelhagel möglichst dünn zu machen. Kennen Sie so jemanden? Einer fällt Ihnen sicher auch ein: er ist Bundeskanzler. Er verliert mit dieser „Strategie“ nie – aber gewinnen? Gewinnen sieht anders aus.

Also ist es nur logisch, dass, wer politisch überleben will, sich als Erstes ums Sterben kümmern und nicht ums Leben. Die Taktiker gewinnen, die Strategen fahren ein, und beides zusammen ist bis zur Unmöglichkeit schwierig geworden.

Deswegen sind die Inhalte politischer Themen wenig gefragt im politischen Tagesgeschäft. Es geht viel mehr drum, mit welchen Inhalten man angegriffen wird, Profil gewinnt oder verliert.

Und warum sind eigentlich gute Taktiker selten gute Strategen? Hinweise darauf sind sehr willkommen!

Cui bono?

Wer davon profitiert, sind jene Interessengruppen, die sachpolitische Inhalte vertreten, weil die Politik kaum noch welche vertritt. Das sind in erster Linie Unternehmen und Verbände von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, und in zweiter Linie NGOs und Zivilgesellschaft. Denen geht es naturgemäß um Inhalte, nur deren Spiel verändert sich: Sie müssen ihre Inhalte so positionieren, dass sie der Logik des politischen Tagesgeschäfts zuträglich ist: Sie muss PolitikerInnen zu mehr Macht verhelfen und für sie möglichst wenig Risiko sein. Dazu ist Strategie wichtig – langfristige Strategie.

Um Nutzen und Schaden für die Republik geht es kaum. Ernüchternd? Natürlich.

Interesse? Ich halte in regelmäßigen Abständen politische Organisationslabors, in denen wir dieses Feld unter Laborbedingungen ausloten. Möchten Sie das kennen lernen? Kontakt!

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