Wer führt hier eigentlich? Und wen?

„Führung“ hat sich schon vor einiger Zeit davon wegbewegt, Leuten etwas anzuschaffen. Aber was gibt es dann? Ein Chef, der keine Mitarbeiter hat – oder doch, aber sie sind ihm nicht weisungsgebunden. Ein Arbeitsplatz, bei dem alle wesentlichen Entscheidungen nicht in der eigenen Linie fallen, und trotzdem sind sie zu managen. Kein „hartes“ Zielsystem, sondern nur ideelle Ansprüche, und meistens sind es sogar die eigenen. Ein Netzwerk an Organisationen schwimmt um die eigene Einheit, und alle haben sie eigene Logiken – und alle sind abhängig von ihm, und er ist abhängig von ihnen. Kennen Sie das?

14 Okt, 2014

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„Führung“ hat sich schon vor einiger Zeit davon wegbewegt, Leuten etwas anzuschaffen. Aber was gibt es dann? Ein Chef, der keine Mitarbeiter hat – oder doch, aber sie sind ihm nicht weisungsgebunden. Ein Arbeitsplatz, bei dem alle wesentlichen Entscheidungen nicht in der eigenen Linie fallen, und trotzdem sind sie zu managen. Kein „hartes“ Zielsystem, sondern nur ideelle Ansprüche, und meistens sind es sogar die eigenen. Ein Netzwerk an Organisationen schwimmt um die eigene Einheit, und alle haben sie eigene Logiken – und alle sind abhängig von ihm, und er ist abhängig von ihnen. Kennen Sie das?

Alltag in vielen Organisationen

Es ist zum Beispiel der Alltag von Betriebsratsvorsitzenden: Sie haben ein Team, das sie nicht ausgesucht haben (Betriebsratsteams werden gewählt), sie sind vom Team in die Leitung gewählt – ihre Autorität ist nur geliehen. Im schlimmsten Fall haben sie alles am Hals und nichts zur Verfügung.

Es ist aber auch Alltag für tausende Menschen in Non-Profit-Organisationen, Gewerkschaften und politischen Organisationen in Österreich, und nicht nur dort: Mit der Verbreitung systemisch geprägter Organisationsformen in Unternehmen gibt es immer größere Teile der Wirtschaft, die auch so ähnlich ticken. Ja kann das denn Führung in soetwas überhaupt funktionieren?

Kann Führung so funktionieren?

Doch, kann sie. Nur müssen wir uns trauen, Führung anders zu denken.

Da wäre zum Beispiel der Ansatz des Doyens der Macht-in-Gruppen-Forschung, Raoul Schindler. Er stellte fest, dass Macht in Gruppen nicht übernommen, sondern verliehen wird: Einfluss habe ich erst, wenn Menschen folgen. Das sehen wir selten, weil wir gerne mit unseren Augen an der Fahne kleben, die vorne weg flattert – aber genau diese Augen sind es, die Fahne und „tragende Person“ einflussreich machen.

Da wäre auch noch einer der Väter der zeitgenössischen Führungstheorie, Peter M. Senge, mit seiner „fünften Disziplin“: Führung in einer lernenden Organisation braucht „Denken in Systemen“. Hierarchie ist nicht out – sie reicht nur nicht, um zu führen.

Und es gibt einen erfrischend pragmatischen Ansatz, Führung vom Nimbus des Großen, Wissenden, Anschaffenden zu befreien: Den des „lateralen Führens“. Soll heissen: Wir führen schon lange außerhalb hierarchischer Strukturen. Haben Sie noch nie mit einem Kollegen aus einer fremden Abteilung am Gang gesprochen, um auszuloten, was man in der morgigen Sitzung denn praktischerweise vorschlagen könnte? Na eben. Das ist Führung ohne Hierarchie – früher sagten wir Kaffetratsch dazu.

Die Begründer dieses Ansatzes (Stefah Kühl, Christoph Narhold und Thomas Schnelle von metaplan) sehen Führung ohne Hierarchie als eine Balance zwischen drei verschiedenen Polen: Macht, Verständigung und Vertrauen.

  • „Macht“ heisst, darin zu denken, wer über welche Machtquellen und Einflussmöglichkeiten verfügt – das kann von der Macht der Person (Gesten, Habitus) über die Position (Leitung, Zugang) bis zu struktureller Macht gehen.
  • „Vertrauen“ heisst, die Beziehung zu Menschen als Steuerungsform zu betrachten: „Dieser Mensch ist in Ordnung, dem folge ich nach.“ Vertrauen (sagte schon der Institutionalist Charles Sabel) ist übrigens nie „blind“: Es muss erworben und gepflegt werden, und beruht auf wahrnehmbarem Verhalten. „Blindes Vertrauen“ ist kein Vertrauen, sondern Abhängigkeit von inneren Bildern und Konzepten.
  • „Verständigung“ ist ein selten gesehener Ansatz: Er beruht einerseits darauf, die Motive und Verhaltensmuster der Beteiligten zu „verstehen“ (da reden wir vom guten alten Einfühlungsvermögen), aber auch zu erkennen: Wie verständigen sich die Menschen im Netzwerk? Wie kommunizieren sie und tauschen genau jene Signale aus, über die Einfluss aufgebaut und ausgeübt wird?

Anstrengender Ansatz

Zugegeben – es ist schon ein ganz schön anstrengender Ansatz, Führung unter diesen Aspekten zu betrachten, denn ich habe es mit dem ganzen Wust an „weichen“ Führungsinstrumenten zu tun, die so unangenehm schwammig und unkonkret sind. Gerne schieben wir es auf die Person zurück und sagen „dazu habe ich kein Talent“.

Oft verwechseln wir diesen Ansatz mit „partizipativer Führung“ oder „Teamführung“, und das ist ein Irrtum: Die Konzepte dahinter können nur Teilbereiche erklären, um die es geht. Der Umgang mit heterogenen, ausfransenden Netzwerken ist damit nicht beschrieben.

Trotzdem bin ich der Meinung: Es gibt nichts Weiches in den „weichen Führungsinstrumenten“. Sie prägen viel stärker als jede Dienstanweisung. Sie bringen Menschen zu Höchstleistungen oder ebnen den Weg in den Burnout. Und sie sind erlernbar wie alle anderen Instrumente auch.

  • Zu Peter Senge’s Ansatz „Die Fünfte Disziplin“ gibt es mehr Infos hier, das Buch gibt’s z.B. hier von meinem Lieblings-Buchhändler, dem Alex (und nicht bei amazon).
  • Mehr zu Training im Betriebsratskontext finden Sie in meinen Trainingsansätzen.

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