Die Pandemie hat die Containerbranche schwer durcheinander gebracht (schreibt z.B. das bdi hier), aber nicht nur die realen Container. Hier soll von anderen Containern die Rede sein: Jene Container in uns, in die wir schwierig auszuhaltende Dinge stecken, die wir nicht ändern können. Und wir können das: Wir kommen mit Organisationen zurecht, die nicht so sind, wie wir wollen. Wir leben in einer Welt, die im Moment so ganz anders ist, als wir es gerne hätten.
Produktives Aushalten…
Wenn wir dafür nicht psychische Prozesse ausgebildet hätten, wären wir ausgestorben. Wilfried Bion beschreibt so einen Prozess mit „Container“: Ein Gefäß, in das wir Unbewusstes wie Projektionen, Übertragungen und Bilder reintun, die wir gerade nicht gut aushalten. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, heißt es in der Fledermaus von Johann Strauß. Wir verdrängen, und ein Bisschen Verdrängung ist gut, weil sonst würden wir durchdrehen.
Aber so einfach wie Strauß macht sich Bion das nicht. Denn wie sollen wir etwas halten können, was wir deswegen verdrängen, weil wir es nicht halten können?
Bion erklärt das ursprünglich als „projektive Identifikation“ zwischen Mutter und Baby (Bion sagte „Mutter“, das war seine Zeit. Wir Väter haben unsere Babies auch liebevoll im Arm, sage ich eifersüchtig, aber egal): Wenn wir also unser schreiendes Kind in den Arm nehmen, ermöchen wir, dass das Kleine seinen inneren, schmerzlichen Anteil abspaltet in ein neues, gesamtes Eltern-und-Kind-ich: Wir sind Container für das Kind. Das Ganze ist eine vorsprachliche und deswegen unbewusste Interaktion. Und – o Wunder – das ganze ist heilsam, wenn der aufnehmende „Container“ sich mit dem Aufgenommenen identifiziert und stellvertretend für das Kind verarbeitet. Mit dem/der empatisch zugewandten Erwachsenen kann auch das Kind reintegrieren, was so belastend ist.
(Klammer auf: Bion kommt aus der Psychoanalyse und ist einer der Mitentwickler:innen der „Objektbeziehungstheorien“ , soll heißen: Nicht unser „Inneres“ (was immer das ist), sondern unsere Beziehungen, die wir zu unseren Umwelten haben („Objekt“ als Gegenüber gedacht, als das andere als das „Subjekt“, das „Ich“), sind zentral, um uns zu entwickeln und verstehen. Wenn wir also mit Menschen z.B. in der Supervision arbeiten, dann schauen wir nicht „in sie hinein“, sondern auf ihre Beziehungen zur Umwelt und zu uns. Die Objektbeziehungstheorie geht übrigens auf Melanie Klein zurück. Die Gruppendynamik – aus deren Kontext ich komme – fußt auch darauf. Klammer wieder zu.)
… auch in Gruppen und Organisationen, …
Aber wir sind keine Säuglinge mehr. Wie geht das also, wenn bei uns was überläuft? Bion nahm an, dass wir als Erwachsene kommunikative Prozesse entwickelt haben, um das zu tun. In Gruppen und Organisationen finden solche Prozesse permanent statt: So beschreibt Bion das „Container-Contained“-Modell als „one Thing inside the other“: das Unausgesprochene, verpackt in Ausgesprochenes.
Einen Schritt weiter heißt: „Thoughts are waiting for a Thinker“, und er meinte damit: Bevor ein Gedanke überhaupt bewusst werden kann, muss erst der Verarbeitungsapparat gemacht werden, um die Gedanken zu verarbeiten, und zwar unbewusst, und im Kontakt mit anderen. Wie lange reden wir um den heißen Brei, bis wir ihn endlich verstehen? Genau.
… öffnen und bearbeiten.
Wenn wir mit diesem Ansatz als Berater:innen arbeiten, dann schaffen wir Räume, in denen schrittweise der Zugang zum Unbearbeitbaren geöffnet werden kann. Ein Beispiel: Wenn in OE oder Teamentwicklung ein Change-Prozess notwendig ist, weil die Existenz einer Organisation auf dem Spiel steht, dann kippt die Wahrnehmung oft zwischen zwei Extremen: „Nichts ist los“ (Verdrängung der Angst) und „alles ist verloren“ (Abwehr der Angst). Beides ist nicht sinnvoll, um eine Organisation zu retten, und stimmen tut’s meistens auch nicht.
Im Container liegt die Angst. Also geht es darum, schrittweise den Zugang zur eigenen Furcht vor dem Existenzverlust zur Kenntnis zu nehmen. Wir müssen sehenden Auges auf dem Grat zwischen den Abgründen „Alles“ und „Nichts“ wandeln, um die Ressourcen freizubekommen, um nach vorne zu schauen: Was kann ich denn beitragen, Existenz zu sichern – meine, die meiner Sozialkontakte, und die meiner Organisation? Oft ist das Erste Ratlosigkeit, Wut und Trauer (und meist in dieser Reihenfolge). Da müssen wir durch.
Gesellschaftscontainer: gestrichen voll
Unsere heutige Welt kippt uns eine Menge Zeug in unseren Container: Der Klimawandel hat das Grundversprechen der Aufklärung („Fortschritt macht die Welt besser“) aufgekündigt, und selten in der Menschheitsgeschichte war unsere Zukunft so beängstigend offen. Die Corona-Pandemie hat unser Sozialverhalten massiv eingeschränkt. Unsere Arbeitswelt wird nicht gerade langsamer und wir kommen schlecht nach. Große gesellschaftliche Freiheiten treffen auf schrumpfende ökonomische Möglichkeiten und auf schrumpfendes politisches Freiheitsverständnis. Reichts? Es wäre noch nicht fertig. Die heftigen, teils gewalttätigen Bewegungen, die gerade aufkommen, zeigen, wie voll der Container bereits ist.
Wie machen wir das besprechbar? Gesellschaftlich vielleicht Dialog mit anderen, nicht Gleichgesinnten, wie „Österreich spricht“ oder die „Konferenz zur Zukunft Europas„, oder Bürger:innenräte wie dieser hier. In der Differenz entsteht die Verarbeiten der Umwelt. In jedem Fall braucht es das Einbremsen der Filteralgorithmen der großen Plattformen, die jeden Tag millionenmal das Gegenteil tun: Sie gaukeln Homogenität und Eindeutig vor.
Schade, dass wir Bion nicht mehr fragen können, was er zu dem gesellschaftlichen Container sagt. Ihm wäre sicher etwas Gescheites eingefallen. Immerhin haben wir damit einen weiteren Blogeintrag zum Thema „Gruppendynamische Theorien“ – bis jetzt darin auch noch erschienen:
- Wo hängen wir unsere Autorität auf? – ein Echo auf die Aktionsforschung Linz
- Fakten sind wie Kühe – ein Blog über unsere Wahrnehmung
- Die Gruppenspirale nach Matt Minahan
- Die Gruppenphasen nach Tuckmann