Das Modewort des Jahrzehnts: „permanent change“
Seit Jahren geistert das Modewort vom „permanent change“ durch die Landschaft – der dauernde Wandel (hier übrigens ein gutes Buch dazu). Er fordert uns heraus, von Zeiten der Stabilität Abschied zu nehmen – von den Zeiten, in denen der Schreibtisch mal fest steht, in der die Geschäftsprozesse einmal nicht neu entwickelt, sondern gelebt werden können, in dem soetwas wie Routine Platz greifen darf, und die menschliche Energie sich anderen Dingen zwenden kann: dem pubertierenden Kind, einer Neubelebung der Partnerschaft, dem Gemüsebeet oder der lang erträumten Weinreise nach Frankreich.
Mein Fokus für diesen Sommer ist die Neugestaltung von unserer Wohnung und meines Büros – weit weg von „Auszeit“, wenn das Zuhause ausgeräumt wird, gemalt, gefliest und bodenverlegt wird. Und prompt kommt es zum overload, und zu Fehlern. In meinem Fall bekam ich Säure ins Gesicht. So sehe ich nun um gut eine Dioptrie schlechter und links ein wenig doppelt und überlege mir: wie halten wir es mit der Auszeit?
Vor zehn Jahren als Journalist verlor ich den Glauben an das „Sommerloch“, der Sauregurkenzeit für JournalistInnen, in denen die Hundegeschichtln ausgepackt wurden – wenn es irgendeine Bestätigung dafür bräuchte, dann ist es dieser Sommer: Griechenland-Krise, Iran-Verhandlungen – Landtagswahlen – auch die Politik ist in der Vollgas-Permanenz angekommen.
Den Wandel als Stabilität begreifen?
Für Organisationen, die im Wind stehen, gilt das umso mehr. Die Idee, dass stabile Strukturen verändernde Produkte herstellen, stimmt immer weniger: Immer mehr geht es darum, für jede Strategie, für jeden Auftritt, für jedes Produkt seine eigene Form der Produktion zu finden. Michael Ende’s „Änderhaus“ (aus der „Unendlichen Geschichte“) lässt grüßen. Aber zum Unterschied zum Änderhaus geht es nicht um Wohlbefinden und Zuhause, sondern ums schlichte Überleben. Aber wo Menschen zusammen arbeiten, braucht es auch Stabilität, muss die Form der Kooperation erkennbar bleiben, und zwar nicht nur in immer komplexeren Managementsystemen und Prozessarchitekturen, sondern in gelebten Kontakten unter Menschen – wir wissen sonst schlichtweg nicht mehr, mit wem wir es wofür zu tun haben. Aus vielen Wissenschaften wissen wir: ohne Routine geht nichts mehr (z.B. aus der Soziologie oder aus der Organisationsforschung hier ein Überblick auf Wikipedia).
Zeitgenössische Konzepte des Change Managements greifen dieses Problem auf und heben „Unternehmensentwicklung“ auf eine höhere Stufe: Es geht nicht mehr darum, Veränderung zu begleiten (was impliziert, dass es nachher wieder „stabil“ wäre), sondern die dauernde Metamorphose als eine Form der Stabilität zu begreifen. Veränderung als Routine – ein faszinierender Gedanke, der schon auch ganz schön verstören kann.
Die DNA von uns Menschen und die basalen psychischen Prozesse, die uns handlungsfähig machen, sind viele tausend Jahre alt. Die Idee von „permanent change“ erst gut ein Dutzend Jahre. Wie geht das zusammen?
Anpacken und Ausruhen
Ich war mal mit meinem Vater per dem Fahrrad über den Hirschbichl unterwegs, eine aberwitzig steile Straße von Weißbach bei Lofer nach Berchdesgaden. Die Straße verläuft stufenförmig: steil bergauf und wieder eben, steil bergauf und eben. Er erzählte, dass dies für die Pferdefuhrwerke war: Pferde können nicht kontinuierlich bergauf ziehen wie ein Automotor. Sie brauchen Phasen des Anpackens und Phasen des Ausruhens.
Wir sind nicht viel anders. Aber wie kommen wir mit dem kontinuierlichen „Bergaufziehen“ des Wandels zurecht?
Es gibt schon eine Lösung: Wir müssen damit zurecht kommen, dass wir Menschen anders als unsere Organisationen sind, und als Menschen brauchen wir Pausen, Auszeit und Leere. Gleichzeitig müssen wir damit zurecht kommen, dass die Organisationen, in denen wir tätig sind, so eine Auszeit nicht haben – wenn wir auf Urlaub fahren, finden wir danach eine neue Firma vor.
Ankoppeln und Abkoppeln
Wir müssen mit diesem Abstand zurecht kommen, der dadurch zwischen uns und der Organisation entsteht. Es ist ein Abkoppeln, das uns ermöglicht, zu regenerieren, und das uns auferlegt, immer neu anzukoppeln an veränderte Wirklichkeiten.
Das An- und Abkoppeln ist eine große Herausforderung, aber wer weiß eine bessere? Wenn wir „immer dran“ bleiben, die e-mails immer lesen, im Urlaub an Meetings teilnehmen, dann überdrehen wir und machen Fehler.
Organisations-Stress
Auch Organisationen müssen mit diesem An- und Abkoppeln zurecht kommen. Kurzfristig ist es leichter, die Menschen anzuspornen, „always-on“ zu bleiben wie ihre Diensthandies. Man spart sich Koordinationsaufwand, man spart sich präzises Arbeiten, Übergaben, Dokumentation. Nur „verbrauchen“ sie damit ihr wichtigstes Kapital – langfristig ist das ein Verlust, kein Gewinn.
Eine Organisation muss damit leben lernen, dass ihre Mitglieder mal da und mal weg sind – dann können sie auch im „permanent change“ ankommen. Der Gedanke ist ja nun nicht ganz neu: Der Spruch in dem Bild („Es gibt nichts Permanentes außer dem Wandel“) von Heraklit ist 2.500 Jahre alt.