Was wir vom Corona-Shutdown lernen können

Im Jahr 2001 ging ein Windows-NT-Server der University of North Carolina perdü. Als die Techniker ausrückten, um ihn zu reparieren, konnten sie den Computer nicht finden. Nach langem Zupfen an Kabelsträngen fand man heraus: Server 54 war vier Jahre zuvor versehentlich eingemauert worden. Diese Episode hat etwas gemeinsam mit unserem Corona-Shutdown: Wir haben in unseren […]

23 Mrz, 2020

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Im Jahr 2001 ging ein Windows-NT-Server der University of North Carolina perdü. Als die Techniker ausrückten, um ihn zu reparieren, konnten sie den Computer nicht finden. Nach langem Zupfen an Kabelsträngen fand man heraus: Server 54 war vier Jahre zuvor versehentlich eingemauert worden.

Diese Episode hat etwas gemeinsam mit unserem Corona-Shutdown: Wir haben in unseren Organisationen auch solche Server rumstehen – keine echten, sondern soziale Infrastruktur, die wir unbewusst betreiben und benützen.

„Anwesenheit“ ist ein solcher unsichtbarer sozialer Server. Organisationen, die in ihrer Arbeit auf Anwesenheit setzen, haben damit unbemerkt eine Infrastruktur geschaffen, über die informelle Kommunikation läuft – so wie der eingemauerte Server: unserem Blick entzogen, aber eifrig in Verwendung. Nennen wir ihn Flurfunk, Kaffeetratsch oder Ganggespräch. Wenn uns COVID-19 nun ins Home Office nötigt, dann merken wir, wie notwendig dieser Flurfunk für das Funktionieren der Organisation war. Prozesse dauern länger, Missverständnisse häufen sich, Kleinigkeiten werden ein Riesenaufwand.

Zahlen oder lernen

Wir könnten diese Zwischenfälle als Corona-Kosten verbuchen, oder sie nützen. Wir könnten uns fragen, was denn so alles Nützliches läuft über den Flurfunk. Wir Organisationsberater nennen das „Selbststeuerung“: Organisationen sind wie Lebewesen – sie regulieren sich selbst.

Wenn nun ein doofer Virus uns zwingt, den Server „Anwesenheit“ herunterzufahren, dann unterbindet er damit den vielleicht wichtigsten Kanal zur Selbststeuerung. Dann sehen wir erst: Was lief denn da alles, bevor alle ins Homeoffice gingen?

Selbststeuerung sichtbar machen

Alle Organisationen funktionieren, weil sie formelle und informelle Strukturen haben. Sie wirken symbiotisch zusammen – de facto sind sie sogar ein Kontinuum. Idealerweise sind sie nahe beieinander. Je weiter sich das formelle vom Informellen entfernt, umso mehr Probleme treten auf. Bei zu starker informeller Steuerung wird die Organisation statisch: Sie „ist“ immer mehr und leistet immer weniger. Bei zu formeller Steuerung entsteht Dienst nach Vorschrift: Das funktioniert noch viel schlechter.

Der Corona-Virus hat uns unverhofft ein Labor geschaffen, in dem das Informelle sichtbar wird, und wir können überlegen:

  • Was von dem Informellen könnte denn ganz nützlich sein, wenn es einen Raum bekommt? Manch ein Kontrollfreak muss sich bei diesem Gedanken festhalten, aber produktiv ist es allemal.
  • Was von der informellen Kommunikation geht digital auch? Jetzt ist das Fenster, in dem wir auch jene Methoden entwickeln und erproben können, die uns über Distanz gut arbeiten lassen.

Viele agile Verfahren machen das Informelle zum Programm – sie geben der Selbststeuerung Raum. Jetzt ist die Gelegenheit dazu.

Jetzt können wir lernen. Wenn der shutdown dann zu Ende ist, können wir zwei Dinge beginnen: Erstens können wir der Kraft des zusammen-seins bewusst Aufmerksamkeit zu schenken: Meetings voller Energie, Kreativität, Kontroversen und Lösungen. Keine leistungsfähige Organisation kommt um die schöpferische Kraft der Gruppendynamik herum, und Gruppendynamik braucht physische Präsenz.

Zweitens können wir beginnen, Anwesenheit (als bewusste Form von „präsent-sein“) und Distanz geschickt zu kombinieren.

P.S.: Der NT-Server hat über alldie Jahre hinter der Wand kein Datenpaket verloren. Still und friedlich tat er seine Dienste, so wie der Kaffeetratsch. Die story steht übrigens hier.

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