Ein von mir sehr geschätzter Wissenschafter (Johnatan Haidt) war auf eine Gastprofessur nach Indien eingeladen. Da er auch zum Thema „Glück“ forschte, fragte er den Taxifahrer, was für ihn „Glück“ sei. Der Taxifahrer war perplex über so eine dumme Frage und sagte: Das sei doch simpel: nichts zu wollen.
Das ganze kommt mir in den Sinn, weil im Moment unüblich viele Menschen zu mir kommen, die mit multiplen Krisen kämpfen: Kind krank, Beziehung kracht, Arbeitsplatz kompliziert, eigene Gesundheit schwächelt. Keine der Krisen ist Grund für einen echt existenziellen Zusammenbruch, aber alle miteinander können uns schon an die Kante bringen. Und dann wundern sich die alle, wenn jemand zusammenbricht, weil die Katze stirbt.
So etwas ist gefährlich, weil sich das oft unmerklich aufbaut und die Balance ganz plötzlich kippt.
Wie schaffen wir es, die Balance zu halten? Ein Ansatz ist folgender: Von H.G. Petzold (dem Begründer der integrativen Therapie) stammt das Konzept der „5 Säulen der Identität“. Unser Leben steht auf fünf Säulen (es stimmt praktischerweise mit fünf Fingern überein – so trage ich sie immer mit mir herum):
- Die Leiblichkeit – damit ist die eigene Gesundheit und Unversehrtheit gemeint.
- Das soziale Netzwerk – alles, wo man ist, weil man gemocht, geschätzt und geliebt wird, inklusive der Liebesbeziehung.
- Arbeit und Leistung (und die muss nicht bezahlt sein)
- Materielle Sicherheit (hier ist die Bezahlung)
- Werte.
Die Idee dahinter: Wenn nun eine Säule wegbricht, ist das schlimm, aber muss noch nicht die Existenz bedrohen. Wenn eine zweite Säule schwächelt, dann wird es krisenhaft. Spätestens wenn die zweite bricht und weitere unter der Last Risse bekommen (welcher Freundeskreis lässt sich schon endlos anjammern?), dann wird es wirklich ernst.
Die Kunst ist, nicht auf die kaputte Säule zu fokussieren, denn manchmal geht da einige Zeit nichts weiter. Es gilt, die tragenden Säulen zu stärken, Risse zu bemerken, auszubalancieren, und lustvoll darauf zu stehen.
Bei mir schwächelt zum Beispiel gerade die Säule „Werte“. Wir alle mögen von der derzeitigen Lage der Welt nicht begeistert sein: Die Klimaerhitzung wird uns in Wien ein Klima wie im Senegal bescheren (schreibt 23digrees.io auf Basis von IPCC-Klimamodellen), während sich populistische Narzissten Schlachten um das Narrativ des größten Opfers und des größten Heilers liefern – auf diese Weise stemmen wir die Zukunft nie. Mich belastet das ordentlich. Gleichzeitig genieße ich, zu lieben und geliebt zu werden, eine tolle, herausfordernde Arbeit zu haben und mich fit zu fühlen.
Klingt das nach esoterischem Wudu? Ist es nicht. Wir müssen uns unseren Krisen schon stellen. Aber damit wir das können, müssen wir einen inneren Haltungsapparat haben, der uns stehen lässt, sonst sind wir überfordert. Nur schönreden hilft genau gar nichts. Die Unmenge an Ratgeberbüchern à la „denke positiv, und du wirst alles erreichen“ ist gefährlicher Blödsinn.
Können wir das Glück mit Händen greifen? Ich denke ja – aber nur dort, wo es eben jetzt gerade ist.