Der Paddler und das liebe Vieh

Wer mit dem Kanu durch die Landschaft treibt, ist lautlos, und kann sich dem lieben Vieh weiter nähern als sonst. Dafür ist der Mensch im Boot Teil des Spiels: Bedrohung, Rivale – oder Mittagessen. Mit der Natur auf du und du, auch wenn du mit einigen Bewohnern lieber per Sie wärst.

Es gibt einen gewichtigen Grund, Afrika ausgerechnet per Boot zu entdecken: Wer mit dem Kanu durch die Landschaft treibt, ist lautlos, und kann sich dem lieben Vieh weiter nähern als sonst. Dafür ist der Mensch im Boot Teil des Spiels: Bedrohung, Rivale – oder Mittagessen. Mit der Natur auf du und du, auch wenn du mit einigen Bewohnern lieber per Sie wärst.

Ruhiges, rhytmisches Platschen. Paddel eintauchen, vorbeiziehen. Vor dem Rausheben neben meiner Hüfte dann noch steuern: Ein kleiner Zug mit der linken Hand, und das Boot schwenkt nach rechts. Ein kleiner Dreh mit der rechten Hand am Knauf, und das Boot streckt seine Nase nach links. Kaum zu glauben, es geht. „You hold your paddle like this“, hat uns unser Führer Henry gerade noch erklärt, und das blaue Ding in der Luft herumgefuchtelt. Draußen am Trockenen, wo der Boden nicht schaukelt, wo die allgegenwärtigen Krokodile weit weg sind, und alle Dinge viel leichter aussehen. „Wie gehts?“ fragt Susan vorne, die die unsichere Schlangenlinie beobachtet, die unser Boot durch den breiten behäbigen Zambezi zient. „OK“, sage ich, und meine ,verflucht, fahr doch endlich dorthin, wo…’ Weiter komme ich gerade nicht. Ein leises Knirschen, ein sanfter Ruck, und wir stehen. „Claus, wir sind aufgelaufen“, sagt Susan und steckt das Paddel neben dem Boot in den Sand. Ach nein, wirklich.

Also was nun? denke ich leise und schaue zu unserem Führer hinüber. Da steckt das blaue Glasfiberding mitten im Fluß, hoch beladen mit Kocher, Essen, Gewand, Tisch und Stühlen. „Just get out and pull the boat off, it’s easy!“. Ich? Soll da ins Wasser? Vor einer halben Stunde hat er uns noch erklärt, daß es durchschnittlich alle sechs Meter Uferstrecke ein Krokodil gibt. Das macht schon 0,8 Krokodile auf die Länge unseres Bootes. Nein, lacht Henry und seine weißen Zähne blitzen im schwarzen Gesicht. Ins flache Wasser kommen die Krokodile nicht. Außerdem sei er ja da, sagt er und deutet auf ein Mordstrumm Revolver am Gürtel. Also gut. Aussteigen und ziehen. Nach fünf Metern kreischt Susan und steht plötzlich bis zur Hüfte im Wasser. „Get in, get in, get in!“ ruft Henry und lächelt garnicht mehr. Flaches Wasser ist so abrupt zu Ende, wie es kommt. Und dort unterhalb der Kante sitzen sie vermutlich schon, mit der Serviette umgebunden, und warten, daß etwas für sie abfällt. Mit ihren Opfern verfahren die netten Tierchen übrigens ganz speziell: Sie ziehen sie ins tiefe Wasser und machen dort die „Krokodilrolle“. Sie wirbeln das Opfer solange im Kreis, bis es wehrlos ist und ersäuft. Dann wird gespeist.

Dutzende Leute haben mir zugesprochen: Die beste Art, den Busch zu sehen, ist per Boot. Die beste Zeit, das zu tun, ist jetzt im Oktober, wenn der letzte Regen ein halbes Jahr her ist und das Land knochentrocken ist: Da sind alle Wasserlöcher im Busch ausgetrocknet, und alles Vieh pilgert zum Fluß. Zu dir, denn du bist am Fluß. Warum um Himmels willen habe ich mich darauf eingelassen, mit dem Boot den Zambezi hinunterzufahren? Abenteuerlust? Sportkrankheit? Den wirklichen Grund finde ich erst unterwegs: Du bist nicht mehr Besucher im Busch, du bist ein Teil von ihm. Der Busch hat seine Regeln, und du mußt sie befolgen, sonst wirst du totgetrampelt, ersäuft oder aufgegessen. Der Busch hat seine Bewohner, und du bist einer von ihnen. Du mußt sie kennen: Die Flußpferde mit ihrem Charakter so mies wie mein Wiener Hausmeister. Die Elefanten mit ihrer ausgelassenen Gemütlichkeit und ihrem Humor. Die Krokodile mit ihrem gierigen Maul. Die Giraffen mit den Mandelaugen. Du bist Teil des Spiels; Spielgefährte, Rivale, Bedrohung, Abendessen.

Tausend-Sterne-Hotel

A propos Abendessen. Henry ist ein Genie: Vor kaum einer halben Stunde sind wir auf eine einsame Sandbank zugesteuert (diesmal absichtlich). Boote abladen, in den Sand flätzen, und während der Teekessel singt, jongliert unser Führer mit Kochlöffeln und Töpfen. Kurze Zeit später gibt es ein dreigängiges Menü, während eine riesige dunkelrote Scheibe über den Horizont in den Busch kriecht. Heute reicht das Tagesprogramm: Wir nehmen unsere Paddel und stecken sie am Kopfende unserer Matratzen in den Sand. Moskitonetz drüber, und gute Nacht im Tausend-Sterne-Hotel. Diese erste Nacht verschlafe ich sowohl den schnarchenden Pat, als auch die Herde Flußpferde, deren Flußspuren wir anderntags finden, zwischen unseren Schlafplätzen hindurch. Gerda ist aufgewacht, erzählt sie, und zu Tode erschrocken: Da steht so ein 600kg-Vieh im Mondlicht, glotzt sie an und trottet dann gemütlich weiter. Elefanten kommen auch immer wieder mal zu Besuch, erzählt Henry. Einen Bullen hat er einmal erlebt, der hat sich entschieden, sich ausgerechnet an seinem aufgepflanzten Paddel den Hintern kratzen zu müssen. Richtig unangenehm wurde es erst, als er auch noch pinkeln mußte…

Aber sonst sind Elefanten die gemütlichsten Kerle: Wenn sie gegen Mittag Durst bekommen, reden sie sich vorher zusammen: Komm, gehen wir einen heben. Und dann trotten sie gemeinsam in ihrem unnachahmlichen Schlendergang an die Zambezi-Bar und hängen ihre Rüssel nebeneinander in den Fluß. Manchmal gehen sie auch baden, veranstalten große Wasserschlachten und haben einen Riesenspaß. Aber wehe, du kommst ihnen zu nahe: Dann wird mit den Ohren gewedelt, trompetet, mit Dreck geschmissen, und dann bist du besser auf der Hinterseite des Mondes. Du bist hier in der Wildnis und nicht im Safaripark Gänserndorf.

Die Natur prägt den Tagesablauf: Um halb Sechs entdeckt der erste die rote Schreibe, die hinter den Bäumen am Horizont aufgetaucht ist, während das Wasser neben dem Camp purpur und blau schillert. Der weinrote Ball wird feuerrot, dann orange, dann gelb. Kurz darauf verkommt die Scheibe zu einem gleißenden mörderischen Strahlenbündel. Pat zeigt sein Thermometer herum und beklagt sich beim Flußgott Njaminjami, daß es um sechs Uhr Früh schon 30 Grad hat. Nach einigen Tassen Tee freuen wir und schon auf die Boote: Am Wasser ist es kühler, und wenn es doch zu heiß wird, zettelt sicher Steve mit seinem Paddel eine Wasserschlacht an.

„Habt ihr gewußt, warum die Wasserböcke einen weißen Ring am Hintern haben?“ fragt uns Henry, als wir bei einer Herde vorbeitreiben. „Das kommt davon, daß sie so ungeduldig sind. Als Noah alle Tiere in die Arche ließ, war der Wasserbock der erste in der Schlange. Da er aber schon so lange gewartet hatte, mußte er gleich ganz dringend. Und da war leider der Lack auf der Klobrille noch nicht trocken.“ Sprichts, lacht aus vollem Halse und taucht wieder sein Paddel ein.

Frühstück auf der Sandbank

„Sieh mal an, wir bekommen Besuch“, sagt Henry und deutet mit dem Kinn ins Wasser neben mir. Ein kurzer Blick, und ich bin schon aufgesprungen, meinen Frühstücksteller seinem Schicksal überlassend. Einen Meter neben meinen knusprigen Zehen streckt ein Krokodil seine Schnauze ans Ufer. Er wittert wohl den gebratenen Speck und watschelt langsam, aber zielstrebig auf unsere saftigen Wadeln los. „Er heißt George, er wohnt schon seit mindestens vier Jahren hier, wir kennen ihn schon. Aber paßt auf, er ist nicht besonders zahm.“ Weiß ich mittlerweile, danke. Ein Drittel des Viehs besteht aus Maul, und wenn das zuschnappt, dann ist der Fuß ab. Aber Henry hat die Ruhe weg: Er fächelt ein Stück Speck vor George’s Nase, bis George artig Männchen macht. Dann gibts einen Klaps mit dem Paddel. „Go away, George, good bye.“ Habedieehre. Das nächstemal vorher klingeln, bitte.

Die Krokodile sind schon zu einer Landplage geworden, erzählt Henry. Lange Zeit waren sie wegen ihres Leders heiß begehrt und gejagt. Dann hat man sie auf die Liste des Washingtoner Artenschutzabkommens gestellt und geschützt, seitdem breiten sie sich wieder aus. Dazu kommen noch die Krokodil-Züchtereien, ein Riesengeschäft: Da man die Haut wilder Krokodile nicht verkaufen darf, haben findige Geschäftsleute mit Genehmigung des Staates Kroko-Züchtereien gegründet. Krokodile sind aber freiheitsliebende Tiere, die in Gefangenschaft weder vögeln noch Eier legen. Also dürfen diese Kroko-Züchter jedes Jahr eine bestimmte Anzahl wilde Krokodil-Eier ausbuddeln und ausbrüten, denn nur ein Bruchteil der Eier schlüpft tatsächlich aus. Dafür müssen sie als Ersatz 2% ihrer Aufzucht aussetzen. Das ist scheinbar ein wenig zuviel, denn die hungrigen Echsen vermehren sich ohne natürliche Feinde wie die Karnickel. Etwa 40 Menschen werden jedes Jahr gefressen. Dabei schmecken sie selbst so gut, denke ich mir im stillen. Am Abend vor dem Lospaddeln habe ich Krokodilsteak gegessen, in der vagen Kannibalenhoffnung, daß seine Artgenossen dafür Respektabstand halten.

Gestatten: Insane Jane

Schon wieder reißt mich Henry aus den Gedanken. „Zum Ufer und festhalten, los!“ Sein Tonfall läßt wenig Zweifel aufkommen. Ein Blick rundum, und ratlose Gesichter. Was ist los? Henry klopft mit seinem Paddel laut auf das Boot. 20 Meter vor uns taucht schnaubend ein glatziger brauner Schädel mit einem riesigem Maul und zwei Stoßzähnen auf. „That’s insane Jane“, sagt Henry, „die wohnt hier.“ Verrückte Hanni? Angenehm, geschreckter Claus. Jane grunzt und röhrt, daß uns Hören und Sehen vergeht. „Hippos sind Territorial-Tiere“, erklärt Henry. „Unsere Boote sind Eindringlinge, und da werden Hippos sauer.“ Insane Jane schnaubt, und mit einem Platsch ist sie verschwunden. „Schnell jetzt“, sagt Henry, „wenn sie in sechs Minuten wieder hoch kommt, sind wir schon vorbei.“

Kurze Zeit später halten wir wieder an. Wir müssen durch den Kanal von Mad Max. Ganz vorsichtig, und ganz knapp am Ufer. Mad Max gibt es zwar nicht mehr, den haben die Nationalparkwärter letztes Jahr abgeschossen, nachdem er das zehnte Paddelboot umgeschmissen hat. Aber er hat schon einen Nachfolger, und der scheint ähnliche Manieren zu entwickeln. So schleichen wir also vorbei. Aber wir haben Glück: Maxens Nachfolger ist gerade nicht zu Hause. Hippos können übrigens nicht schwimmen: Sie laufen über Grund, tauchen auf, schnappen Luft, und laufen weiter. Im Wasser sind sie so schnell wie unsereins am Land. Und am Land sind sie so schnell, wie unsereins auf einem Fahrrad. Viel Spaß beim Fuchs-und-Hase-Spiel.

Es ist Abend geworden. Die Sonne versinkt wieder hinter dem Horizont, und ein lauer Windzug kündigt die letzte Nacht am Fluß an. Henry setzt sich zu uns, und erzählt uns eine afrikanische Geschichte:

Vor langer Zeit, da lebte das Hippo am Land, und hatte ein wunderschönes Fell. Dummerweise kam es aber in ein Buschfeuer, das seinen Pelz verbrannte. Häßlich, wie es war, kam das Hippo zu Njaminjami, dem Flußgott des Zambezi, und bat um die Genehmigung, im Wasser leben zu dürfen. „Das geht doch nicht“, sagte der Flußgott, „mit deinem Riesenmal würdest du mir alle Fische wegfressen.“ Das Hippo bettelte und sagte, es würde keinen eigenen Fisch essen, sondern jede Nacht herauskommen und grasen. Aber Njaminjami traute dem Hippo nicht. Weil es ihm aber so leid tat, sagte er: „Also gut, du darfst im Wasser leben. Aber immer wenn ich vorbeikomme, mußt du dein Maul weit aufsperren, damit ich sehen kann, ob du keinen Fisch gegessen hast. Und deinen Dung verstreust du mit dem Schwanz in der ganzen Gegend, damit alle Tiere sehen können, ob sich Fischknochen darin finden.“ Seitdem lebt das Hippo im Wasser und verstreut mit wedelndem Schwanz seinen Dung überall, wo es geht. Und wenn jemand kommt, sperrt es das Maul ganz weit auf.

zu diesem Text

erschienen im österreichischen Reisemagazin

(176-mal angesehen, 1-mal heute)