Tödliche Sonne

„Brennende Erde“ nannten die Schoschonen das Death Valley, und tatsächlich zählt es zu dem heißesten, was Amerika zu bieten hat. Außer, Sie kommen zu Ostern. Dann ist es gerade angenehm warm, und – die Wüste lebt.
Hbrrrr. Ist mir kalt. Da glaubt man, ins sonnige warme Kalifornien zu kommen, und da stehe ich nun am Berg oben und friere, noch dazu in Sichtweite des heißesten und tiefsten Punktes der westlichen Hemisphäre (56°C im Sommer, 86 Meter unter dem Meeresspiegel). Dabei war mir gestern tatsächlich heiß. Mehr als 36° zeigte das Thermometer gestern zu Mittag im Tal neben der Ranger Station, „angenehm kühl“ für Ende April. Für mich eine Temperatur, um in die Höhe zu gehen, auf die Berge, die das Tal umstehen, und die jeden Regentropfen abfangen, bevor er die Chance hat, hineinzukommen. Ins Death Valley. Aber hier am Telescope Peak, 3.400 Höhenmeter weiter oben (das ist so weit hinauf wie von Wien auf den Großglockner), ist es auch um 34 Grade kälter. Ich wollte es nicht glauben: Hier liegt Schnee. Rasten. Erschöpft setze ich mich zwischen die spitzen Steine aufs Geröll – um gleich wieder mit brennendschmerzendem Hosenboden zu stehen. Jaja, wer sich hier unachtsam hinsetzt, sitzt ziemlich schnell – in einem Kaktus.
Die Schoschonen nannten dieses Tal „brennende Erde“, und machten übrigens das gleiche wie gewitzte Touristen heute: Sie machten im Sommer einen großen Bogen um das Tal, und lebten in den Bergen, wo die Temperatur in der großen Höhe erträglich ist und es sogar genug Feuchtigkeit gibt, um ein paar Bäume zu ernähren. Die Autofahrt hinunter ins Death Valley ist eine Fahrt durch die Klimazonen: Auf 3.000 m wächst Kiefernwald. Darunter beginnen die „Badlands“. Ödes Gestein, bedeckt mit knöchelhohem, graugrünem Gebüsch. Und am Talboden beginnt das Nichts. Sand und Steine, soweit das Auge reicht.
Warum zieht es jedes Jahr immer und immer wieder Menschenmassen in diese Wüste? Ganz einfach: Death Valley ist nicht einfach nur Wüste: es ist viele Wüsten. es ist ein Stück ägyptische Sandwüste. Ein Stück israelische Felswüste. Ein Stück Badlands der Prärie, ein Stück Salzsee. Und ein Stück Berge von einer Höhe, die sich zwischen den unseren nicht zu schämen brauchen. An klaren Tagen (und die gibt es hier so etwa 365mal im Jahr, heuer sogar 366mal) sieht man von den Gipfeln hunderte Kilometer weit, von den schneebedeckten Dreitausendern des Sequoia Nationalparks bis tief in die Nevada-Wüste hinein.
Sein Klima verdankt das Tal der Geographie: Wenn der feuchte Pazifikwind an die Berge der Sierra Nevada prallt und aufsteigen muß, verliert er seine Feuchtigkeit und fällt als heißer Föhn auf der anderen Seite hinunter. Nachdem der Wind die vielen Bergketten überwunden hat, fällt er als glühendheißer Wüstensturm in das Death Valley hinunter. Das Tal ist an drei Seiten von hohen Bergen umgeben. Die vierte Seite geht in die Wüste Nevada. Und so kann man mit dem Auto in einem Tag vom Regenwald der Pazifikküste an den trockensten Fleck Amerikas fahren.
Death Valley ist nicht zu jeder Jahreszeit Wüste, aber die Jahreszeiten sind verschoben. Der Frühling beginnt Anfang März, wenn die Sonne ein wenig Kraft bekommt. Gleich darauf kommt der Sommer, und Ende Mai beginnt schon die tote Jahreszeit und die unerträgliche Hitze. Die Büsche und Gräser verstecken ihre Lebensgeister tief in ihren Wurzeln und lassen nichts als verdorrtes Gestrüpp übrig. Die vertrockneten Kugelbüsche lassen sich von den Sürmen abreißen und durch die Wüste tragen, bis die Zweige Wasser fühlen. Dann schlagen sie in Windeseile Wurzeln, blühen, wachsen, und verdorren wieder, lassen sich wieder weitertreiben. Das Leben geschieht im Augenblick: Sobald es wasser und Nahrung gibt, geht es los, um gleich darauf wieder zu ersterben.
Der Frühling (Anfang März bis Mitte April) ist die schönste Jahreszeit. In diesen kurzen Wochen blüht die Wüste: Die „indianischen Pinsel“ (eine rote Blume), die rosigen Kakteen, die gelben Büsche und Blumen. Der Frühling ist auch die beste Reisezeit. Die Temparatur hat angenehme Kurze-Hose-Dimensionen, und die Bewohner der Wüste nutzen die Gunst der lauen Winde für Bewegung.
Aber auch sonst ist das „Tal des Todes“ nicht wirklich tot, nichteinmal im Hochsommer. Das Leben im Tal (Pflanzen wie Tiere) hat sich den extremen Bedingungen angepaßt. So gibt es Fische in dem kleinen Salzfluß, der durch das Valley fließt. Und am Ufer stehen Gräser, die viel Wasser brauchen, aber mit salzigem Wasser zufrieden sind. Hundert Meter weiter, wo es nur trockenen Sand gibt, wachsen Gräser, die Salz nicht vertragen, dafür aber fast kein Wasser brauchen. Und das was kreucht und fleucht, hat sich großteils auf Nachtaktivität verlegt, wenn die heißen Steine nicht Pfoten und Krallen versengen.
Wanderer haben es gut hier, im Vergleich zu Nationalparks. Es gibt keine Pflicht, feste Wege einzuhalten (denn die gibt es ohnehin kaum). Es ist sogar erlaubt, unterwegs zu campen, und das Gelände erlaubt es, mit ein wenig Geschick einfach querfeldein zu gehen. Das einzige Problem: Don’t forget the waterbottle: An ganzen zwei Stellen im Tal gibt es Wasser, und 3-4 Liter Wasser pro Person und Tag tragen sich schwer. Wer sein Wasser vergißt, hats nicht leicht: Die meisten enden – als Teil der Wüste.
Claus Faber war viele Jahre freier Reisejournalist für Radio Österreich 1 („Ambiente – die Kunst des Reisens“), das österreichische Reisemagazin und andere Medien.